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Die digitale Dokumentation auf der Website juedischer-friedhof-muenster.de

Am Seminar für Exegese des Alten Testaments der Katholisch-Theologischen Fakultät an der WWU Münster in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Münster wurde über mehrere Jahre eine Dokumentation des Jüdischen Friedhofs an der Einsteinstraße erstellt. Im Zentrum stand die Aufnahme der hebräischen und deutschen Inschriften der rund 400 Grabdenkmäler, die transkribiert und übersetzt wurden. Da es in Münster in auffallendem Unterschied zu zahllosen Gemeinden und Städten in Deutschland keine vollständige Dokumentation des jüdischen Friedhofs gab, wurde damit eine Lücke geschlossen und dieses bedeutende Kulturdenkmal einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein gehoben.

Das Projekt hat nicht von ungefähr seinen Ort an einer Theologischen Fakultät. Die Grabsteininschriften enthalten nicht selten Rückbezüge auf Themen oder Formeln der hebräischen Bibel, des christlichen Alten (oder: Älteren) Testaments, und sind damit ein Beispiel biblischer Wirkungsgeschichte. Zudem spiegeln die Inschriften ein ganzes Spektrum jüdischer Identität zwischen Traditionsgebundenheit und Assimilation an die christliche Mehrheitsgesellschaft. Sie führen damit zu einem zentralen Thema jüdisch-deutscher Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, das auch für das 21. Jahrhunderts nichts an Brisanz verloren hat. Dazu kommt, dass der Friedhof als Ort jüdischer Geschichte zwischen erzwungenen Abbrüchen und hoffnungsvollen Neuanfängen vor die Frage einer sinnvollen Erinnerungskultur stellt. Für die Katholische Theologie hält die Erklärung „Nostra Aetate“ des II. Vatikanischen Konzils von 1965 noch einmal eine besondere Motivation bereit: Hier wurde eine grundlegende Neuorientierung der Katholischen Kirche im Verhältnis zum Judentum artikuliert. Der Auftrag dieser Erklärung, vom Judentum zu lernen, ist nach wie vor aktuell.

Wie es begann

Die Anfänge des Projekts gehen auf das Jahr 2011 zurück. Anlässlich einer von ihr angebotenen Übung zur hebräischen Epigraphik anhand von Grabsteinen stellte Prof. Dr. Marie-Theres Wacker fest, dass offenbar keine umfassende Dokumentation des Münsteraner jüdischen Friedhofs an der Einsteinstraße existierte. Wohl aber, diese Informationen konnte Ludger Hiepel, damals studentischer Mitarbeiter am Seminar für Exegese des Alten Testaments, in den folgenden Monaten zusammentragen, gab es verschiedene Vorarbeiten. Ende der 1980er Jahre war am Institutum Iudaicum Delitzschianum eine wissenschaftliche Arbeit zum Friedhof begonnen, aber abgebrochen worden. 1995 hatte eine Klasse des Wilhelm-Emmanuel-von-Ketteler-Berufskollegs den jüdischen Friedhof vermessen, die Lage der Gräber in einem Plan dokumentiert und eine Liste der Namen der Bestatteten angefertigt. Außerdem fanden sich, etwa beim Landschaftsverband, verschiedene Fotoserien, die aber eher unter ästhetischen als dokumentarischen Gesichtspunkten aufgenommen worden waren.

Ein längerer Prozess …

Bei Gesprächen mit der Jüdischen Gemeinde Münster zeigte diese sich offen für das Projekt einer Dokumentation ihres Friedhofs. Im Sommer 2012 unternahmen Ludger Hiepel sowie die Mitarbeiterinnen am Seminar Simone Bomholt und Daniela Abels dazu die ersten Schritte: Sämtliche der etwa 400 Grabsteine wurden zunächst vorsichtig von Efeu und Moos befreit, so dass die Inschriften zutage traten, und anschließend fotografisch aufgenommen. Längere Zeit in Anspruch nahm sodann die Entwicklung einer Datenbank, die sowohl diese Fotografien aufnehmen sollte als auch die auf deren Basis vorzunehmenden Transkriptionen und Übersetzungen der Inschriften, dazu weitere Informationen über die Bestatteten. Dieser Herausforderung stellte sich Ludger Hiepel, inzwischen wiss. Mitarbeiter am Seminar und Koordinator des Projekts, beim Einpflegen der Daten unterstützt von Simone Bomholt.

Um die Ergebnisse des Projekts einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde die Publikation in Form einer Homepage ins Auge gefasst. Eine solche elektronische Publikation bietet den Vorteil, dass sie problemlos erweiterbar und fortlaufend korrigierbar ist. Sie kann zu einem späteren Zeitpunkt die Basis einer Buchpublikation bilden. Die Aufgabe der Entwicklung und technischen Umsetzung der Homepage übernahm Christopher H. Stappert, Theologe und Programmierer, das grafische Design erarbeitete Maya Argaman. Zur Deckung der dafür anfallenden Kosten konnten als Sponsoren gewonnen werden der Generalvikar des Bistums Münster, die Kreissuperintendentin des Kirchenkreises Münster, der Stadtdechant in Münster, die Stiftung Kunst und Kultur Münsterland und die Vereinigung Niederdeutsches Münster.

Aus Mitteln des Seminars für Exegese des Alten Testaments wurde im Herbst 2013 für drei Monate die Schweizer Theologin Christa Grünenfelder angestellt, der es mit ihren Kompetenzen im biblischen und im modernen Hebräisch gelang, einen Großteil der Grabsteine auf der linken, ab 1886 belegten Seite des Friedhofs zu entschlüsseln. Ludger Hiepel und Marie-Theres Wacker setzten diese Arbeit fort und erschlossen zahlreiche der älteren Inschriften, unter denen jedoch auch einige etwa aufgrund fortgeschrittener Verwitterung vorerst unbearbeitet bleiben mussten. Im August 2015 wurde auch dieser Arbeitsgang abgeschlossen, so dass zu jedem Grabstein eine seinem Erhaltungszustand entsprechende Rekonstruktion der Inschriften vorliegt.

Als Partnerinnen für das Projekt konnten Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer gewonnen werden. Die beiden Historikerinnen haben ein dreibändiges biografisches Lexikon zu den jüdischen Familien in Münster vorgelegt, das den Zeitraum von 1918 bis 1945 umfasst. Durch diese Zusammenarbeit wurde es möglich, einen Großteil der dokumentierten Grabsteine mit den entsprechenden Familiengeschichten aus dem „Lexikon“ zu verknüpfen, um so Verwandtschaftsbeziehungen aufzuzeigen, biografische Angaben zu ergänzen und neben den Grabsteinfotos auch Personenbilder anbieten zu können. Am Seminar für Exegese des Alten Testaments war es vor allem Simone Bomholt, die die Verknüpfung zwischen den auf dem Friedhof Bestatteten und der Familiengeschichte aufbereitete. Desirée Kaiser, studentische Mitarbeiterin am Seminar, unterstützte das Einpflegen der Daten in die von Christopher H. Stappert bereitgestellte EDV-Struktur. Zudem war sie behilflich bei Recherchen in diversen Archiven und Behörden, die Dokumente zur Geschichte des Friedhofs besitzen.

Festakt und Go-Live:

Mit einem Festakt am 24. März des Jahres 2015 wurde die elektronische Dokumentation auf dieser Internetseite freigeschaltet. Damit sind Fotos, Abschriften und Übersetzungen der Grabdenkmäler, verknüpft mit umfangreichen Informationen über zahlreiche der hier Bestatteten, einsehbar und recherchierbar.

Nach der Begrüßung durch den Gemeindevorsteher Sharon Fehr eröffnete Prof. Dr. Marie-Theres Wacker, die Projektleiterin, den Abend mit einem Rückblick auf die geleistete Arbeit und stellte ihre Forschungsergebnisse zu den Anfängen des jüdischen Friedhofs ab 1810 vor. Der Festredner Dr. Frowald Gil Hüttenmeister, der als Judaist selbst unzählige jüdische Friedhöfe in ganz Europa dokumentiert hat, stellte unter dem Titel „Friedhöfe – Spiegel jüdischen Lebens“ jüdische Friedhofs- und Begräbniskultur dar. Seine Beispiele illustrierten die große Spannweite zwischen trauriger Erinnerung und unfreiwilliger Komik, die sich in den Grabsteininschriften findet. In einer anschließenden Präsentation stellten Marie-Theres Wacker und Ludger Hiepel, der das Projekt neben inhaltlicher Arbeit koordinierte, die Seite, die bei diesem Anlass freigeschaltet wurde, vor und gaben eine Einführung in die Funktionen der Seite. Der Abend endete mit einem Empfang, den die Jüdische Gemeinde als Zeichen der Dankbarkeit ausgerichtet hatte.

„Was vorerst offenbleiben musste…“

Aufgrund bisher fehlenden kapazitärer bzw. finanzieller Ressourcen konnte die Geschichte des Friedhofs noch nicht umfassend und systematisch recherchiert werden. Auch eine kunsthistorische Erschließung der Grabsteine aus unterschiedlichen Epochen und Stilen steht noch aus, ebenso die Auswertung der in den Inschriften greifbaren Informationen zur sozialen Zusammensetzung der Gemeinde oder auch zu den sich wandelnden Ausdrucksformen der Frömmigkeit bzw. der Assimilation an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Die Rekonstruktion ihrer jeweiligen Familienzusammengehörigkeit ist für die Verstorbenen der frühen Phase (1812 – 1874) besonders aufwendig, da noch keine durchgehenden Personenstandsregister geführt wurden bzw. die offenbar in der jüdischen Gemeinde geführten Register (Geburten, Heiraten, Sterbefälle 1822 – 1849) verloren sind, und musste bisher weitgehend zurückgestellt werden. Dies gilt erst recht für den Versuch einer wenigstens kurzen biographischen Notiz zu jedem und jeder Verstorbenen aus diesem Zeitraum, aber auch noch für viele der zwischen 1874 und 1918 Bestatteten, für die im Biographischen Lexikon von Möllenhoff/Schlautmann kein Eintrag vorliegt. Zurückgestellt wurde bisher aus Kostengründen auch die wünschenswerte Anpassung des homepage-Layouts an ein Handy-Format.

Am Projekt (2012–2017) beteiligt

Prof. Dr. Marie-Theres Wacker – Projektleitung

Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M.A. – Koordination

Dipl.-Rel.-Päd. Christopher H. Stappert – Programmierung der Webseite

Maya Argaman, Design

und die weiteren Mitarbeiterinnen am Seminar für Exegese des Alten Testaments Simone Bomholt, Desirée Kaiser, Daniela Abels und Christa Grünenfelder

 

Hier finden Sie:

Die Begrüßung von Herrn Sharon Fehr

Die Eröffnung von Prof. Dr. Marie-Theres Wacker

Den Festvortrag von Dr. Gil Frowald Hüttenmeister

 

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