Ein Zwischenspiel zur Täuferzeit (1536–1554)
Die mittelalterliche jüdische Gemeinde hat nach allem, was wir wissen, ihr Ende gefunden, als in ganz Westeuropa die Pest wütete (1348–50) und die christliche Bevölkerung den Juden die Schuld daran gab. Auch über die Stadt Münster wird berichtet, dass ein Pogrom stattfand und viele Juden getötet wurden; andere, so kann man annehmen, flohen. Für die folgenden zwei Jahrhunderten gibt es vereinzelte Hinweise darauf, dass Juden in Münster lebten; eine Gemeinde entstand jedoch nicht mehr.
Erst Bischof Franz von Waldeck gab jüdischen Familien wieder ein Niederlassungsrecht in der Stadt. Das Bildnis im Hintergrund zeigt seinen Anspruch, zugleich geistlicher und weltlicher Herrscher zu sein: die bischöfliche Kopfbedeckung, die Mitra, und der Bischofsstab sind die Insignien seiner geistlichen Macht, Brustpanzer und Schwert weisen ihn als Inhaber der weltlichen Macht aus. Die Playmobilfigur im Vordergrund signalisiert, dass wir kein Originalporträt dieses Bischofs besitzen. Franz von Waldeck wurde 1532 zum Bischof von Münster gewählt. Zu dieser Zeit war die religionspolitische Situation im ganzen Deutschen Reich von den Auseinandersetzungen um die Reformation bestimmt. In Münster hatte die radikalreformatorische Richtung der Täufer die Oberhand gewonnen und den Bischof 1534 aus der Stadt vertrieben.
Er belagerte die Stadt fast zwei Jahre lang und konnte sie schließlich zurückerobern. Ein solcher Krieg verschlingt viel Geld – und Franz von Waldeck wusste, wie er seine Steuereinnahmen verbessern konnte und wo er Kredit bekam. Der Verleih von Geld in Westeuropa wurde seit dem 12. Jahrhundert fast ausschließlich von Juden betrieben. Denn Christen durften aus religiösen Gründen keine Zinsen fordern, so dass ihnen Geldgeschäfte verschlossen waren. Da die in den Städten aufkommenden Zünfte und Gilden, also die Zusammenschlüsse der Handwerker und Kaufleute, zu verhindern suchten, dass Juden Mitglieder werden konnten, hatten die Juden gleichzeitig zu wichtigen Erwerbszweigen keinen oder nur erschwerten Zugang.
Franz von Waldeck holte jüdische Familien aus seiner nordhessischen Heimat nach Münster und stellte ihnen, wie seit dem Mittelalter üblich, sogenannte Schutzbriefe oder „Geleitbriefe“ aus. Darin erhielten sie das Recht, in Münster zu leben und ihrem Gewerbe nachzugehen, wofür sie direkt an ihn Steuern und andere Abgaben zu zahlen hatten. Mit ihrem Gesinde (den Knechten und Mägden), das fast in jedem Geleitbrief erwähnt wird, dürften zwischen 1540 und 1550 etwa fünfzig Juden und Jüdinnen in Münster gelebt haben. Sie wohnten nicht mehr, wie im Mittelalter, zusammen im Zentrum, sondern in verschiedenen Stadtvierteln. Nirgendwo in den Quellen ist davon die Rede, dass sie das noch bekannte und existierende Friedhofsgelände oder auch andere noch existierende Gebäude der mittelalterlichen Gemeinde wieder in Betrieb genommen hätten. Wo sie zusammen gebetet haben und wo sie ihre Toten bestattet haben, wissen wir deshalb nicht.
Die jüdischen Familien standen, abgesichert durch ihre Geleitbriefe, unter dem persönlichen Schutz des Bischofs. Sie waren dementsprechend auch abhängig davon, wieweit dieser seine Macht gegen eine Stadt durchsetzen konnte, die ab 1541 (wieder) auf ihr Recht pochte, keine Juden in ihren Stadtmauern dulden zu müssen. Schon ab diesem Jahr hat der Bischof es offenbar nicht mehr gewagt weitere Geleitbriefe auszustellen. Im Sommer des Jahres 1553 starb Franz von Waldeck. Am 15. Februar des darauffolgenden Jahres 1554 fällte der Rat der Stadt zusammen mit den Repräsentanten der Gilden den Beschluss, die Juden hätten bis zum 8. März ihre Geschäfte abzuwickeln und dann die Stadt zu verlassen. Damit war das Ende der zweiten jüdischen Ansiedlung in Münster besiegelt. Nur einer Einzelperson, Jakob von Korbach, gelang es mithilfe einflussreicher Persönlichkeiten des Domkapitels, aber auch des Bürgermeisters, noch für einige Jahre ein Bleiberecht durchzusetzen, was möglich war, weil er medizinische Fähigkeiten besaß und auch Heilerfolge nachweisen konnte.
Eine Straße im Münsteraner Ortsteil Wolbeck erinnert an Jakob von Korbach und an die kurze Zeit jüdischen Lebens im Münster des 16. Jahrhunderts.
Erneut konnten nun mehr als 200 Jahre lang keine Juden mehr in Münster sesshaft werden. Wohl aber wurde ihnen jeweils für kurze Zeit gestattet in die Stadt zu kommen, so vor allem für den Wochenmarkt und die großen Jahr-Märkte (Send) oder zur Klärung von Gerichtsstreitigkeiten mit Münsteraner Bürgern. Erst als Münster unter die Herrschaft des französischen Kaiserreiches gekommen war, erhielten sie ab 1810 auch wieder das Recht der Niederlassung.
Literatur:
Diethard Aschoff, Die Juden in der ständischen Gesellschaft, in: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.), Geschichte der Stadt Münster Bd. I, Münster 31994, S. 575–593, hier S. 579–585.
Diethart Aschoff, Benedikt, der erste Jude Münsters in der Neuzeit (1536/46), in: Westfäl. Zeitschrift 143 (1993), S. 53–61.
Hans-Joachim Behr, Bischof Franz von Münster und die Korbacher Juden, in: Westfäl. Zeitschrift 144 (1994), S. 89–95.
Gisela Möllenhoff, Art. „Münster“, in: Susanne Freund u.a. (Hrsg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Münster 2008, S. 487–513, hier bes. S. 488f.
https://www.stadt-muenster.de/ms/strassennamen/jacob-von-korbach-weg.html
(zusammengestellt von Marie-Theres Wacker)